Reizüberflutung mit Jason Derulo
Köln (kle) Die Schlange vor dem Merchandise-Stand in der Kölner Lanxess-Arena am Samstagabend ist lang. Ein Mädchen – vielleicht dreizehn oder vierzehn – zeigt auf das eine T-Shirt. Auf dem ist das Gesicht von Jason Derulo, dem US-amerikanischen R&B-, Pop-Sänger und TikTok-Star, der mit Songs wie „Whatcha Say“, „It Girl“ oder „Want to Want Me“ bisher mehr als 250 Millionen Tonträger verkauft hat, zu sehen. Eine goldene Dornenkrone bedeckt seinen Kopf. „Das möchte ich haben“, sagt das Mädchen zu ihrer Mutter. Die kauft ihrer Tochter das persönlich signierte Shirt.
Als dann wenig später in der ausverkauften Arena ein Countdown von exakt zehn Minuten auf der Bühnen-Leinwand erscheint, rennen die meist jungen Fans des aus Florida stammenden Musikers nochmal schnell aufs stille Örtchen. Fünf, vier, drei, zwei, eins…Bäm, Bum, Bäng. Feuersbrünste schlagen aus dem Bühnenboden, bevor Derulo selbst in enganliegender Lederhose und rotem Samt-Jackett aus einem erhöhten Podest in die echte Welt „herausgedrückt“ wird. Er atmet tief ein und aus. Endlich hört man ihn singen, allerdings leise: „I was so wrong for so long.“ Seine 16.000 Fans kreischen. Einige gar hyperventilieren. Die Bühne wirkt wie ein wabernder und tanzender Ameisenstaat. Und mittendrin Jason Derulo, der König der Ameisen.
Beim Song „Tip Toe“ brechen die Ränge auseinander. Gefühlt zumindest. Für alle, die auf R&B- und Hip-Hop-Klischees stehen - Getwerke hier, Getwerke da – ist das die reinste R&B-Milchstraße. Und eine Pause, die gibt es nicht. Derulo und seine Tänzerinnen und Tänzer werfen sich ins Zeug. Jede ihrer verrenkt-grazilen Bewegungen wird bejubelt. Ein Traumberuf, könnte man meinen. Wären da nicht die immer wiederkehrenden Tanzszenen für die Tänzerinnen, die atmosphärisch ein bisschen was von einer schmuddeligen Tabledance-Bar im tiefsten Montana haben. Breitbeinig ist mitunter die präferierte Stellung bei Nummern wie „Acapulco“, It Girl“ oder „Swalla“. Und: Es sind wohl die Lederstiefel seiner Tänzerinnen, die Derulo während der Show neben seinem Mikrofon am häufigsten in seinen Fingern hält. Die Botschaft ist klar: Die Würde der Frau, was soll das bitteschön sein? Jedes Grinsen. Jedes Wörtchen. Jeder Schweißtropfen auf Derulos Stirn wirkt durchchoreografiert. Authentisch gibt’s erst wieder in der Eck-Kneipe nebenan.
Trotzdem: Es gibt auch Momente, die musikalisch überaus stark sind. Vor allem dann, wenn der US-Amerikaner mit seiner Falsett-Stimme brilliert. In Sachen Dynamik und Range ist die unfassbar gut. Bei „Savage Love“ oder „The Other Side“ zeigt Derulo, zu was er stimmlich in der Lage ist.
Resümee: Erleben konnte man eine über weite Strecken reizüberflutete, aber bis in kleinste Detail perfekt inszenierte Gesangs- und Tanzshow mit teils frauen-verachtenden Tendenzen. Ein neuer King of Pop ist Derulo nicht. So viel steht mal fest.