Aydo Abay: „Irgendwann zerstöre ich eine Freundschaft”

Köln (kle) Ein Song kommt, wann er es will. Der jetzt gerade heißt „Blast Off“, ein Lied von Silk Sonic (Anderson Paak & Bruno Mars). Wer Bock auf verträumt-soulige Lyrics und funky R&B-Beats im Gewand der 1970er-Jahre hat, der ist bei dem US-amerikanischen Super-Duo gut aufgehoben. „And watch the world go crazy from outer space“.    

Diese Geschichte fängt eigentlich am 18.05.2023 an. Christi Himmelfahrt. Vatertag. Vor also beinahe zwei Jahren. Auf dem Lenauplatz in Ehrenfeld. Ein frühsommerlicher Tag. Wunderschön. Ein Freund eines Freundes einer Freundin - die bekannte Stimme aus dem Off – fragte „habt ihr nicht Lust auf ein Konzert heute Abend im Artheater?“ Die Band eines Bekannten spiele da heute. Ein paar Stunden später: Dieser Bekannte heißt Sascha Madsen (Schlagzeuger bei Madsen), die Band Musa Dagh. Die rund 200 Fans feiern nicht nur Herrn Madsen, sondern auch die beiden anderen alten Hasen der deutschen Independent-Szene – Aydo Abay (Ex-Blackmail) und Aren Emirze (Ex-Harmful) - so richtig ab. Nach der Show ziehen Bandvergleiche mit Placebo, Saosin oder Billy Talent von Barhocker zu Barhocker. Das Theken-Rondell verwandelt sich in eine feucht-fröhliche „Wir-haben-die-Band-des-Jahres-gehört-und-gefunden“- Aftershow-Party. Nur einer steht irgendwann ganz allein am Tresen des Theaters und bestellt ein letztes Bier: Aydo. Glücklich sieht er nicht aus.

Heute, fast zwei Jahre später - die Cafés und Restaurants auf der Venloer Straße kippen so langsam ihren Wintermief auf den Asphalt; man kann ihn schon ein bisschen riechen, den Frühling – treffe ich mich mit Aydo vor dem Lofi-Store. Irgendwie aufgeräumt wirkt er dieses Mal. Klarer. Dass seine im letzten Jahr veröffentlichten Tagebucheinträge „My Private Aydoho“ im Taschenbuchformat irgendwo zwischen „In The Jingle Jangle Jungle - Keeping Time with the Brian Jonestown Massacre“ von Joel Gion, „Mo Beauty" von Alec Ounsworth und Rockpalast „Classic Logo Framed"- Socken in schwarz/weiß auf einer der Auslagen im Store liegen, touchiert den gebürtigen Waldbröler nur geringfügig, so scheint es. Vorbei am Club Bahnhof Ehrenfeld geht es. Er kenne da jemanden und würde dem nochmal kurz Hallo sagen, murmelt er und verschwindet für ein paar Minuten hinter dem Bauzaun. Megan Markwick und Lily Somerville, bekannter unter dem Namen Ider – ein britisches Singer-Songwriter-Duo aus London – spielen heute Nacht im ausverkauften Club. Mit im Gepäck ihr neues Album „Late to the World“. Ob es die beiden gewesen sind, die Aydo begrüßen wollte, verrät er nicht. Wohl aber, dass die Songs von Sascha Wiercinski beinahe unbemerkt an ihm vorübergezogen wären. Was für eine Story: Saschas drittes Album sollte eingängiger werden, die Nummern kürzer. Aydos Stimme sei ihm dabei bzw. dafür nicht mehr aus dem Gehörgang gegangen. Kurzum kontaktierte der Wuppertaler Amateurmusiker via Facebook Ex-Blackmail-Ikone Aydo Abay und fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, auf einigen seiner Songs zu singen. Und während Aydo das so erzählt, gibt er unverhohlen zu, zunächst skeptisch gewesen zu sein; dann aber habe er zugesagt und sich auf dieses Experiment eingelassen. Entstanden aus dieser ungewöhnlichen Liaison ist das Soundtrack-artige Eposalbum „No Body – Loves You“. Sehr hörenswert.

In diesem Moment öffnet der Barkeeper die schwere Holztür des Bumann & Sohn. Es ist sieben Uhr. „Herzlich Willkommen“, sagt er und lächelt. Aydo lächelt zurück. Heute Abend sind wir die ersten Gäste und bestellen ein alkoholfreies Bier. Was der 51-jährige Wahlkölner sonst noch so über Migration, Depression, seinen Hang zum Zerstören und das Alphabet (!) zu berichten hat: voila.  

Ich bin ein umtriebiger Typ, weil…

…ich in den letzten fünf Jahren verstanden habe, dass viel machen viel hilft. Und es gibt so viele Dinge, in denen ich gut bin und helfen kann. Zum Beispiel kann ich sehr gut Leute zusammenbringen. Erst heute wieder wurde eine Support-Band für ein Konzert gesucht. Mir fiel eine Gruppe ein, ich schlug sie der Agentur vor. Passte wie Arsch auf Eimer. Grundsätzlich werkle ich gerne an vielen Baustellen herum: meine Radiosendung, Musik machen, Produktionsleitung. Das alles macht mir einfach unheimlich viel Spaß. Dabei geht es mir weniger darum, Mastermind für irgendetwas zu sein, sondern vielmehr darum, Menschen miteinander zu connecten.

Bist du glücklich damit?

Ja, schon. Natürlich bin ich auch gerne Mastermind in meinen eigenen Projekten. Aber alles andere ist eben Tagesgeschäft. Und wenn die Bands, die ich betreue, zufrieden sind, sie (auch durch mich) hier in Köln eine gute Zeit haben und sie sich im Idealfall beim nächsten Mal wieder an mich erinnern können, ist das wie eine kleine Tagesoase für mich.

Post-Pop ist…

…meine erweiterte Version von Pop. Ich bin ein riesiger Popper und ich mag es, wenn Pop aufbricht. Das tat er in den letzten 30 Jahren ja immer wieder mal. The Cure zum Beispiel: Am Anfang waren die im völligen Underground unterwegs und schrieben später die ganz großen Pophits, die bis heute sogar meine Mutter kennt. Sperriges zugänglich machen bedeutet für mich Post-Pop. Und an dem orientiere ich mich.

Der kleine Aydo in Waldbröl…

…steht im Ghetto. Ich bin ein „traditionelles“ Migrationskind. Aber irgendwie habe ich es aufs Gymnasium geschafft. Trotzdem würde ich meine Kindheit als krass bezeichnen. All die Hubschrauber-Eltern von heute würden wahrscheinlich ihre Hände über dem Kopf zusammenschlagen. In so einem Ghetto ist nämlich immer Gewalt im Spiel. Erst viel später habe ich aus einigen Familien Dinge erfahren, die viel grausamer nicht hätten sein können. Da habe ich verstanden, weshalb viele meiner Bekannten von früher durchgedreht sind. Dazu muss ich sagen: Meine Eltern sind im Vergleich zu anderen ziemlich cool gewesen. Obwohl sie in den 1980er-Jahren nie die Chance zu einer geregelten Sprachbildung hatten und somit enorme Schwierigkeiten hatten, am normalen gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Dass da Parallel-Gesellschaften entstanden sind, wundert mich aus heutiger Sicht überhaupt nicht mehr. Die Integrationspolitik hat für mich – zumindest damals – völlig versagt. Und die Situation heute verschärft sich meines Erachtens eher noch.

Im letzten Jahr hast du über Edition Klara deine Tagebucheinträge „My Private Aydoho“ veröffentlicht. Was ist dein persönliches Hamsterrad?

Mein Innerstes. Aus dem komme ich nicht heraus. Morgens, noch vor dem Aufstehen, habe ich immer so eine Art Vergangenheits-Flash, der nur selten gut ist. Zumindest erinnere ich mich nur an die schlechten Dinge. Nicht an die guten. Erst tagsüber - in Gesprächen mit Freunden - fallen mir auch positive Sachen ein.

Dann sind deine Tage morgens immer depressiv geprägt?

Super depressiv. Deswegen stehe ich auch immer sofort auf, trinke meinen Kaffee, sodass ich schnellstmöglich woanders bin. Also im Hier und Jetzt. Meistens schaue ich der Müllabfuhr zu. An Blackmail zum Beispiel denke ich überhaupt nicht mehr. Das Ding ist einfach nicht mehr in meinem Kopf.

Denkst du, ein guter Freund zu sein?

Nein, der bin ich nicht. Irgendwann zerstöre ich eine Freundschaft. Wenn ich Freund bin, gebe ich wirklich alles. Aber das nervt alle. Das ist dann zu viel für sie. Und wenn ich dann merke, dass kein adäquates Geben von der anderen Seite zurückkommt, ziehe ich mich zurück und mache die Freundschaft bewusst kaputt. Dadurch muss ich stets neue Freundschaften schließen. Mit der Zeit ist das anstrengend.

Brauchst du die Kontrolle?

Ich kann natürlich nicht jede Situation oder Beziehung kontrollieren. Bei geschäftlichen Beziehungen zum Beispiel bin ich mittlerweile ganz schön entspannt geworden. In Verpflichtungen möchte ich nicht geraten. Das ist auch der Grund, warum ich Musa Dagh verlassen habe. Da hieß es irgendwann nur noch „wir müssen, wir müssen, wir müssen“. Das war eine gute Entscheidung für mich. Alles andere wäre nur „explodiert“.

Deshalb machst du mittlerweile Musik mit Menschen, die du persönlich gar nicht erst kennenlernen musst?

Ich habe Sascha von No Body tatsächlich erst kurz vor der Fertigstellung unseres gemeinsamen Albums „No Body – Loves You“ durch Zufall einmal auf einem Bdrmm-Konzert hier in Köln getroffen. Davor habe ich ausschließlich mit der Musik gearbeitet. Und da ist mir aufgefallen, dass ich den persönlichen Kontakt während des Arbeitsprozesses gar nicht brauche. Sondern nur das Gefühl zur Musik.

Was ist dein Plan in den nächsten Jahren?

Ich möchte es in den kommenden zwei Jahren geschafft haben, im Kontext meiner gesamten Gesangskarriere in insgesamt 26 Bands gesungen zu haben. Und zwar einmal das Alphabet durch. Acht Buchstaben des Alphabets kann ich also schon abhaken. Ich muss mich beeilen.

Dann verlässt Aydo eiligen Schrittes das Bumann & Sohn. „And watch the world go crazy from outer space“. Aydo.   

Erschienen in der Stadtrevue


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