Leif Berger: Ein Schlagzeug ging einen Musiker suchen

Köln (kle) Ein Song kommt, wann er es will. Der jetzt gerade heißt „Bow Down“ von der US-amerikanischen Post-Hardcore-Band I Prevail aus Rochester Hills, Michigan. Für alle zart Beseideten unter uns ist die Nummer ein hartes Stück Arbeit, aber: Schafft man es, den Shouting-Passagen von Sänger Eric Vanlerberghe mit einer gewissen inneren Gelassenheit zu begegnen, eröffnet sich hier eine wahrhaft episch anmutende Komposition à la Linkin Park. Brian Burkheisers Stimme besitzt das Potenzial, einem die Seele zu streicheln, bevor sie von ihr schließlich in die Zange genommen wird: „'Cause I'm in control, and you'll know my name / 'Cause I gave my life, gave it everything” (Denn ich habe die Kontrolle, und du wirst meinen Namen kennen / Denn ich habe mein Leben gegeben, alles gegeben).  

Heute bin ich zu Gast in der gemütlichen Dachgeschosswohnung von Schlagzeuger Leif Berger, der von 2013 bis 2018 an der Hochschule für Musik und Tanz Köln Jazz-Schlagzeug bei Jonas Burgwinkel studierte. 2024 wurde ihm das Horst und Gretl Will-Stipendium für Jazz/Improvisierte Musik der Stadt Köln zugesprochen.

“Leif war ein musikalisches Ausnahmetalent. Schon im Grundschulalter war sein musikalisches Gespür und die damit verbundene Qualität außergewöhnlich. So etwas erlebt man in seiner über 40-jährigen beruflichen Laufbahn als Schlagzeuglehrer vielleicht nur ein- oder zweimal.”

(Ben Bönniger[1] während eines kurzen Telefonats)

 

Ein Gespräch

Was hast du gefühlt, als du das erste Mal deinen Schlagzeuglehrer Jonas Burgwinkel hast spielen gehört?

*Kirchenglocken im Hintergrund. Leif schweigt, denkt nach. Sehr bewusst* Das ist eine gute Frage. Ich glaube, Jonas ist ein Spieler, bei dem ich immer das Gefühl hatte, dass er eine eigene Welt um sich herumgebaut hat, die hermetisch abgeriegelt ist. Und in der eigene physikalische Gesetze herrschen. Seine Technik, seine Vokabeln, seine Phrasierungen, seine Art, ein Schlagzeug zu stimmen, sein Aussehen beim Spiel – das alles hat eine extreme Eigenständigkeit und Einzigartigkeit und wirkte damals als 18-Jähriger auf mich sehr beeindruckend. Hinzu kam, dass die Jazz-Musik auf mich zu Beginn des Studiums eine unheimlich abstrakte und mysteriöse Wirkung ausübte. Eines der ersten Konzerte, zu dem ich von Jonas in Köln eingeladen wurde, fand im damaligen Stecken statt. Da spielte er zusammen mit Chris Potter. Das war eines der eindrücklichsten Konzerte meines Lebens. Weil es so unglaublich heiß, energetisch und zwingend war. Damals war das für mich wie Zauberei. Meine Neugierde hin zum Jazz wuchs ab diesem Moment ins Unermessliche.

Sieht bzw. hört man dich spielen, kann man fast gar nicht glauben, dass Jazz für dich ein großes Mysterium gewesen ist.

Doch, auf jeden Fall. Das war eine lange Reise bis hierhin. Zum Jazz bin ich erst mit 16 gekommen, weil ich durch Zufall über ein YouTube-Video der kanadischen Jazz-Sängerin Diana Krall gestolpert bin. Auch wenn Krall eher „Cocktail-Jazz“ macht, so war auch das damals für mich unglaublich abstrakt und neu. Dennoch: Durch sie bekam ich einen ersten Zugang zum Jazz und ich verstand halbwegs, was da musikalisch passiert. Krall war für mich sozusagen eine Art Zipfel, an dem ich mich festhalten konnte, um weiter in die Jazz-Höhle zu krabbeln. Nach Krall hörte ich dann für mindestens ein halbes Jahr nur das Jeff Hamilton Trio, danach für lange Zeit Brian Blade. Mittlerweile ist mein musikalischer Input natürlich nicht mehr so linear angelegt.

Versuchen wir das einmal etwas weiter herunterzubrechen: Der kleine Leif skatet durch Münster. Und heute sitzt er hinter seinem Schlagzeug und streichelt dessen Felle zu Kafkas Aphorismen. Was ist da passiert zwischen Skateboard und Kafka-Drums?

*Leif schweigt, denkt nach. Sehr bewusst* Rückblickend war ich zu Beginn meines Studiums an der Kölner Musikhochschule sehr überfordert. Vor allem, weil man vielen Musiker:innen des gleichen Alters begegnet, die alle dasselbe wollen, die es wissen wollen.

Was wollen die denn (wissen)?

Sie wollen besser werden. Die Musik verstehen. Vielleicht klingt das ein bisschen abgedroschen, aber ich merke bis heute immer wieder, wie schwer es eigentlich ist, Jazz zu spielen. Es gibt unheimlich viele technische und theoretische Barrieren, die man erstmal „durchschlagen“ muss, um überhaupt an den Punkt zu kommen, an dem man Musik machen kann. Das soll überhaupt nicht versnobt klingen. Oder irgendwie elitär. Privat höre ich so gut wie keinen Jazz. Die Qualität von Musik hat für mich nichts damit zu tun, wie anspruchsvoll oder wie theoretisch komplex oder einfach sie ist.  

Das behaupten Jazz-Musiker:innen oft.

Ja, das mag ein Klischee sein, dass Jazzern anhaftet. Da widerspreche ich nicht. Jedoch halte ich mich nicht ausschließlich in der Schlagzeug-Bubble auf, sondern versuche nebenbei auch Klavier zu üben. Erst vorhin habe ein Stück von Thelonious Monk gelernt, der einer meiner größten Heroes ist. Als Pianist bin ich Meilen von dem entfernt, wo ich mich als Schlagzeuger bewege. Und genau in solchen Momenten merke ich: Da gibt es noch so viele Welten, die sich mir auf der rein technischen Ebene bis jetzt nicht erschlossen haben. Es gibt sicherlich Musikrichtungen, bei denen man schneller eine Hoheit über die Musik erlangen kann. Das bedeutet aber nicht, dass sie schlechter ist als Jazz.

Wie bist du denn als Schlagzeug-Lehrer?

Ich glaube, ich bin als Lehrer ganz anders als Jonas, also nicht ganz so stringent und nicht ganz so klar wie er. Von meinem Naturell bin ich eher offener im Unterrichtsstil. Aber: Ich selbst wäre mit meinem eigenen Unterrichts-Typus nicht so weit gekommen. Daher war es gut, dass mich Jonas in seiner Stringenz so unterrichtete, wie er es tat. Den eindeutigen Rahmen brauchte ich persönlich von Anfang an. Aber nicht alle Schüler:innen benötigen den in dieser Intensität.

Ab wann wusstest du denn: Ich möchte Schlagzeuger werden?

Vorher war ich Skater. Aber aufgrund einer Knie-Verletzung musste ich dann meine Skate-Ambitionen an den Nagel hängen. Da Musik schon immer eine bedeutende Rolle in meinem Leben spielte – ich habe schon mit 2 Jahren angefangen Schlagzeug zu spielen - und die Skaterszene natürlich nah dran war an der Musikszene, habe ich damals – neben dem Schlagzeug - auch angefangen, Gitarre zu spielen. Vor allem The Brian Jonestown Massacre habe ich sehr verehrt. Gegen Ende der Schulzeit erfuhr ich dann von dem Jazz-Studium in Köln, für dessen Aufnahmeprüfung (die während der Abiturzeit stattfand!) ich mich zusammen mit meinem Schlagzeuglehrer Ben Bönniger intensiv vorbereitete.

Skatest du denn manchmal noch?

Ja, vor allem im Sommer. Aber eigentlich ist das als Schlagzeuger keine gute Idee. Ich habe mich nämlich schon recht häufig verletzt in den letzten Jahren. Vorletztes Jahr z.B. habe ich mir den Arm angebrochen, davor habe ich mir die Finger verstaucht. Mit dem angebrochenen Arm samt Orthese habe ich dann sogar noch drei Konzerte gespielt (Leif demonstriert, wie genau das mit dem Orthesen-Spiel aussah!). Generell ziehe ich mir während des Skatens mittlerweile Verletzungen zu, die früher nie passiert sind. Und jedes Mal danach denke ich: ‚Damit muss jetzt Schluss sein!‘ Das funktioniert aber nicht. Ich stelle mich jedes Jahr aufs Neue der sportlichen Herausforderung (*Leif lacht*).

Apropos Konzert: Wie nimmst du eigentlich Reaktionen aus dem Publikum wahr?

Ich habe schon ein starkes Bewusstsein dafür, was im Publikum passiert. Auch, wenn man mir das nicht unbedingt ansieht, während ich spiele. Weshalb mir das Publikum jedoch extrem wichtig ist, und warum ich es unbedingt brauche, kann ich gar nicht so genau sagen.

Brauchst du es vielleicht, weil du es benutzt (so wie beispielsweise Strom!) oder brauchst du es, weil erst das Publikum dir die letztgültige Sinnhaftigkeit in deinem Tun gibt?

Ich denke, es ist beides. Manchmal brauche ich einfach die Konzertsituation samt Publikum, damit ich mich – v.a. musikalisch - weiterentwickeln kann. Da fungiert das Publikum tatsächlich ein bisschen pragmatisch wie Strom. Und trotzdem gibt es auch eine andere Ebene während eines Konzerts, eine, die im Kontext des Zwischenmenschlichen steht. Denn zu glauben, dass ich mit meiner Musik das Leben eines Menschen in einem bestimmten Moment des Konzerts verändern kann, verleiht meiner Person, meinem Spiel und der Musik einen tieferen Sinn.

„'Cause I'm in control, and you'll know my name / 'Cause I gave my life, gave it everything”. Leif.  


[1] Ehemaliger Schlagzeuglehrer von Leif Berger in Münster

Erschienen in der Stadtrevue

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