Lionel Richie im Tempel der Gefühle
Köln (kle) Spoiler: „All Night Long“ sang Soul-Ikone Lionel Richie auch. Ganz am Ende seiner gestrigen Show in Köln vor rund 14.000 Zuschauern. Doch nun zum Wesentlichen. Was für eine Nacht! Die fast ausverkaufte Lanxess-Arena verwandelte sich in einen bunten Tempel der Gefühle, als der gebürtige US-amerikanische Sänger – u.a. Grammy-Gewinner, Oscar-Preisträger und Mitglied der Rock & Roll Hall of Fame - zur großen Hit-Revue lud. Ob als Frontmann der legendären Commodores mit Songs wie „Easy“ und „Three Times a Lady“ oder als Solokünstler mit Megahits wie „Hello“, „Truly“ oder „We Are the World“, den er 1985 gemeinsam mit Michael Jackson und Quincy Jones schrieb (USA for Africa): Richie hat Musikgeschichte geschrieben, und tut es immer noch. Mit 76 Jahren. Voilà, einsteigen und festhalten: Die Zeitreise durch ein Hit-Feuerwerk ganzer Generationen geht los.
Funky-Beats wie „Upside Down“ von Diana Ross oder „Give Me The Night“ von George Benson quetschen sich aus den Innenraum-Boxen der Arena durch die Türspalten raus ins Rondell der Konzerthalle. Die letzten Fans der Motown-Legende begeben sich auf ihre Plätze und warten nervös auf den Beginn des Konzerts. Aber: Es beginnt nicht. „Gibt das heute noch was?“, fragt eine Freundin genervt ihren Freund. Ein Pfeifkonzert entbrennt. Die Atmosphäre ist angespannt. Doch dann ist es die Band und ihr instrumentales Intro, das die Gemüter beruhigt. Währenddessen: Nebelschwaden steigen im vorderen Bühnensteg-Bereich auf, und zu den langsamen Akkordfolgen von „Hello“ schiebt er sich engelsgleich in weißem Sakko empor aus dem Boden: Lionel Richie. „Hello / Is it me you′re looking for?“. Jawohl.
Sodann, nach diesem doch beinahe klassischen Anfang – niemand hat ernsthaft auf einen anderen Song als erste Nummer gewettet – beginnt Richie samt Band mit „Running With the Night“ an zu rocken, was das Zeug hält. Wie gesagt, der Mann ist 76. Und weil das so ist, hat er auch viel zu erzählen. Zum Beispiel, wie er den Begriff „Köln“ lange Zeit geübt habe auszusprechen. „Köln“ aus seinem Mund wäre ab da an der Running Gag des Abends geworden, wenn, ja, wenn da nicht der Saxophonist Dino Soldo gewesen wäre, der in einem kurzen Zwiegespräch mit Richie auf der Bühne fast beiläufig erwähnt, dass er über zehn Jahre Bewohner der schönsten Stadt am Rhein gewesen sei. Die Arena tobt, na klar, und Richie kann es nicht glauben: „You lived here for ten years? I like that!“. Soldos Solo-Einlage bei „Easy“ wird so zu einem Schaulaufen für ihn. Der Applaus für ihn, er will nicht enden. Erst ein paar Lieder später – in etwa bei „Sail On“ - fängt Richie mit seinem unwiderstehlichen Charme das Publikum, dem Soldo ganz schön den Kopf verdreht hat, wieder ein. Schwergefallen sein dürfte das dem Superstar jedoch nicht mit seinen Kompositionen im Rücken, haben die doch ganz oft so etwas Verbindendes an sich, sodass sie am Ende wie ein doppelseitiger Powerstrip-Klebestreifen zwischen Richie und dem Publikum haften (bleiben). Und Richies Melodien, die klopfen freundlich an, sie reichen dir langsam ihre Hände und ziehen dich voller Sanftmut heraus. Aus deinem Alltag.
„Three Times a Lady“ zum Beispiel ist so wunderschön. Ein Liebeslied, das seinesgleichen sucht. Richie erzählte in Interviews, dass sein Vater eines Tages bei einem Jubiläumsabendessen zu seiner Mutter sagte: „Liebling, du bist nicht nur meine Frau und die Mutter meiner Kinder – du bist auch meine beste Freundin. Du bist eine dreifache Dame.“ Dieser Satz habe Richie so sehr bewegt, dass er sich an das Klavier gesetzt und innerhalb kürzester Zeit den Song geschrieben habe. Da war er 37 Jahre jung. Danach geht es Schlag auf Schlag, die Fans halten ihre Handy-Lampen bei Nummern wie „Truly“, My Destiny“ oder „Still“ in die Höhe. Wer jetzt noch letzte Halloumi-Reste im Magen hat, kann sich sicher sein: Sie sind nun komplett dahingeschmolzen. Und je länger das Konzert dauert, umso bewusster wird einem: Nicht nur „Dancing on the Ceiling“ hat man als kleiner Bub auf dem Rücksitz eines alten Kadetts gehört, während vorne Mutters Haare wild von rechts nach links flogen. Lionel Richie war musikalischer Sozialisator für so viele. „We are all humans being!“, ruft Richie noch ins Mikro, bevor er den Song singt, der aktueller nicht sein könnte: „We Are the World“. Dieser Text endet, wie er (in diesen Zeiten!) enden sollte: Welt, bitte wach auf! „We are the world / We are the children / We are the ones who make a brighter day, so let's start giving / There's a choice we're making / We're saving our own lives / It's true we'll make a better day, just you and me“.