Provinz genießt den Moment
Düsseldorf (kle) „Suche verzweifelt 2 Tickets!“, steht auf einem kleinen Pappschild, das eine junge Frau vor dem Eingang des Kulturzentrums etwas verunsichert in die Höhe hält. Ihr ist wahrscheinlich klar: Das wird heute Abend wohl nichts mehr mit dem Konzert von Vincent, Robin, Moritz und Leon aus Oberschwaben. Was 2012 im beschaulichen Vogt bei Ravensburg als Freizeitprojekt unter Cousins begann, hat sich in den letzten Jahren zu einer der markantesten Stimmen des deutschen Indie-Pop entwickelt. Provinz: das sind vier junge Musiker, die mit seismografischem Gespür für Stimmungen von Freundschaft, Entfremdung, Rausch und Reue erzählen. Ihre Songs handeln von den Unsicherheiten des Erwachsenwerdens, von der Suche nach Nähe und der Angst, sie wieder zu verlieren. Auf ihrer aktuellen Clubtour „Pazifik“ haben die vier Herzensbrecher gestern Abend auch Halt im Düsseldorfer Zakk gemacht. Und so war das Konzert.
Das Zakk ist brechend voll. Die Luft steht, Sanitäter laufen konzentiert ihre Runden durch die Gänge der Konzerthalle. Und während sich einige der meist weiblichen jungen Fans noch gegenseitig Grimassen der Vorfreude zuwerfen, geht das Licht aus und „Nightcall“ von Kavinsky ertönt. Bald darauf betreten Provinz die Bühne und legen mit „Kein Tag ohne dich“ los. Vince atmet ganz bewusst in den Pausen der Nummer tief ein und aus, als wolle er diesen Moment vollkommen in sich aufsaugen. Diesen Moment, der so voller Leben klingt, weil seine rund 800 Fans so laut mitsingen, dass die Verse „Ich will nicht in die Großstadt (ja, ja) / Ich hab' Angst mich zu verlieren (ja)“ noch bis zum Amts- und Landgericht zu hören sind. Ganz bestimmt. „Boah, das ist die coolste Band ever!“, schreit eine Zuschauerin ihrer Freundin ins Ohr. Jede Bewegung, jeder Satz – „Seid ihr froh, dass endlich Sommer ist?“, fragt Vince seine Fans – löst bei den Achthundert unfassbar lautstarke Begeisterungsstürme aus; fast so, als hätte der Klassenlehrer just in diesem Moment seinen Schülerinnen und Schülern mitgeteilt, dass es gleich Hitzefrei gäbe. Ein bisschen erinnert diese positiv-organische, aber auch exzessive Fan-Band-Beziehung an die frühen Zeiten der deutschen Popgruppe Echt um Frontmann Kim Frank. Und weil Vincent Waizenegger seine Tiefstapelei-Rhetorik gut beherrscht, setzt er immer wieder genau da an: ganz unten, in etwa so: „Wir kommen aus Ravensburg, da stand eine Bank, die uns sehr wichtig war. Diese Bank gibt’s nicht mehr.“ Die Nummer „Unsere Bank“, tja, was soll man sagen, die wird danach derbe abgefeiert. Einen Song schreiben über eine Bank. Darauf muss man erstmal kommen. Apropos: Die Songs der mittlerweile Wahl-Hamburger tragen einen von Mikrokosmos zu Mikrokosmos. Das schaffen sie, weil sie aus ihnen mit einer schwungvollen Schwerelosigkeit aus dem Handgelenk herausgepurzelt zu kommen scheinen. Und die Texte? – Die treffen bei den meisten Zuschauern auf ein wohl tiefsitzendes Bedürfnis: Das Sprechen, Summen, ja Singen über junge Liebe. Und alles, was oder wer mit ihr zu tun hat. Bassist Moritz sagt am Ende etwas so Schönes, das Provinz auf den Punkt bringt: „Wenn ich auf der Bühne stehe, vergesse ich alles um mich herum.“ Die Fans, sie kreischen mal wieder. Weil sie den Satz, und den, der ihn gesagt hat, fühlen können. Provinz.