Nine Inch Nails in Köln: zwischen Stille und Gitarrengewitter
Köln (kle) Vor der Lanxess-Arena versammelt sich an diesem lauen ersten kalendarischen Sommerabend ein Publikum in Schwarz, das gekommen ist, um eine Legende zu erleben, denn: Nine Inch Nails (NIN), die US-amerikanische Industrial Rock-Band, spielte gestern Nacht ihr einziges NRW-Konzert vor ausverkauftem Haus (ca. 16.000 Besucher). Im Zentrum: Trent Reznor, Musiker mystique, eine der wohl rätselhaftesten Figuren der modernen Rockgeschichte: Kontrollierter Studioperfektionist, Komponist, Produzent, Multiinstrumentalist, Soundarchitekt. Zugleich jedoch auch manischer Bühnenperformer, der sein Innerstes nach außen kehrt, und der Mitte der 1990er-Jahre seinen Status als Sprachrohr einer ganzen Generation festigte, zumal mit Kurt Cobain, der zweite mythisch verehrte Musiker, gerade den Freitod gewählt hatte. In einem Interview sagte Reznor 2005 einmal: „Ich würde all meinen Zorn, diese Scham und Selbstablehnung nehmen und sie einfach auf der Bühne ausleben.“ (Guardian). Bekannt wurde die Band 1988 nicht nur durch ihre Alben „The Downward Spiral“ oder „The Fragile“, die Electronica und Alternative Rock miteinander verknüpfen, sondern vor allem durch ihre intensiven, oft unberechenbaren Live-Shows. Zertrümmerte Instrumente, verletzte Bandmitglieder und fliegende Keyboards waren oftmals Teil ihrer Auftritte. Tourmanager sprechen von einer zweistelligen Zahl an Gitarren pro Konzert. Reine Vorsichtsmaßnahme, versteht sich. Trotz (oder wegen?) dieser Exzesse wurden Nine Inch Nails 2015 vom Rolling Stone zu den größten Musikern aller Zeiten gewählt und 2020 sogar in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.
Also, los geht’s, hinein in die Arena. Und da legt als Support-Act kein Geringerer als der deutsche Produzent Alexander Ridha alias DJ Boys Noise auf, der schon mit Größen wie Snoop Dogg oder Lady Gaga kollaborierte und neuerdings eben auch Trent Reznor musikalisch unterstützt (Remix des Soundtracks zum Film „Challengers – Rivalen“). Dystopie-Beats könnte man das bezeichnen, was der 42-jährige Berliner da auflegt. Das in rotes Licht getränkte Publikum im Innenraum der Arena wirkt in seinen Bewegungen noch gehemmt; vielleicht, weil des durch die düsteren Bässe des DJs regelrecht zu einem schwammigen Pulk zusammengedrückt wird, um den Endzeit-Rhythmen als Fanvolk huldigen zu dürfen. Willenlos. Am Ende dieser halben Stunde apokalyptischen Gedröhns eine Überraschung: Ridha spielt den Remix von „Paul ist tot“, einem der bekanntesten Songs der Düsseldorfer Post-Punker Fehlfarben. Und während einige der Zuschauer noch „Was ich haben will, das krieg' ich nicht / Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht“ mitsingen, erscheint wie aus dem Nichts – hinter einem Piano sitzend - in der Mitte der Halle sodann Trent Reznor auf einer kleinen Bühne. Ein seichter Lichtstrahl ist auf ihn gerichtet. Mit Verlaub, in der Lanxess-Arena war es noch nie so ruhig, kann man doch beinahe den angehaltenen Atem seines Nachbarn hören. Reznors Stimme legt sich bei den ersten Versen von „Right Where It Belongs“ wie ein letztes Gebet über die Köpfe seiner Fans hinweg. „And it's all / Right where it belongs / What if everything around you / Isn't quite as it seems?“. Ein wahrhaft magischer Konzertbeginn
Ein paar Minuten später folgen Reznor noch seine beiden Bandkollegen Atticus Ross und Robert Finck auf die Mini-Stage. Eben der sprenkelt bei den darauffolgenden Nummern „Piggy (Nothing Can Stop Me Now)“ und „The Fragile“ immer wieder kurze, aber heftige typisch kraftvolle Industrial-Gitarrenriffs in die Songs mit ein. Das ist die Ruhe vor dem Sturm, mag man meinen. Und der kommt brachial und wuchtig. Schlagzeuger Ilan Rubin streichelt seine Felle nicht gerade sanft, sehen kann man ihn und sein maschinelles Spiel zu „Eraser“ zunächst nur als Kamera-Projektion auf dem Vorhang, der die Hauptbühne umgibt. Das aber reicht vollkommen aus, um zu wissen: Jetzt ist Schluss mit still. Ein Gewitter an Laser-Lichtern, Gitarren- und Bass-Anschlägen komplettiert Rubins ekstatische Virtuosität à la Dave Grohl. Der Vorhang gleitet nach oben und Frontlegende Reznor presst seinen Mund ins Mirkofon, seinen Körper in den dazugehörigen Ständer. Ist das ein „Sich-in-Rage“-Singen, eine Art Vorbereitung auf die Entladung aller Energien, ein Countdown hin zur Eskalation? Wundern würde es wohl niemanden, warten doch insgeheim alle auf dieses Reznor-Spektakel mit Bon-Bon. Der Moshpit jedenfalls ist bereit. Und willig. Die Songs „Repile“, „March of the Pigs“ und „Gave Up“ rasen mit ungeheurer Geschwindigkeit atemlos von Takt zu Takt, man kommt kaum mit. Zwischenzeitlich verlässt Reznor einmal mehr für ein Stelldichein zusammen mit seinen Freunden Ridha und Atticus die Bühne und klettert auf die Side-Stage. Hier flacht das Konzert musikalisch etwas ab, weil es nicht ans Herz geht, viel mehr jedoch auf den Solarplexus. Das Monoton-Gewummere ist nur etwas für eingefleischte Freunde der Techno-Musik.
Danach kommen NIN aber wieder in die Spur, die letzten Kompositionen wirken schnörkelloser, die Stimmung ausgelassener, die Band insgesamt nahbarer. „I wanna fuck you like an animal“ singt Reznor. Diese provokante Refrainzeile des Songs „Closer“, der sich 1994 für ganze 22 Wochen in den US-amerikanischen Singlecharts hielt, sorgte damals für Furore. Heute, über 30 Jahre später, lockt sie keinen mehr hinterm Ofen hervor. Schließlich endet die Show, wie sie begann: in voller Stille und Demut. „If I could start again / A million miles away / I would keep myself / I would find a way“. Trent Reznor und seine Band verschwinden. Was bleibt am Ende? Eine verdammt lange Rückkopplung, eine tiefenentspannte Rocklegende (nichts da Zerstörungswahn!), und: ein geniales Konzert.
Erschienen in der WAZ