Gänsehaut à la Carlos Santana

Köln (kle) Es gibt Gitarren, die schreien, welche, die sägen – und dann gibt es die von Carlos Santana: Mal spricht sie, weil niemand sonst mehr sprechen kann oder will, mal weint sie, weil sonst niemand mehr weinen kann oder will. Das immer jedoch mit einem optimistisch klingenden – pardon - singenden Unterton, als wäre Santanas virtuoses Spiel Fats Dominos „I’m Walkin‘“ des Latin Rock in Permanent-Schleife.     

Gestern Abend also legte der Guru der singenden Gitarrenriffs, Träger des spirituellen Namens „Devadip“, Grammy-Sammler (10 an der Zahl!), musikalisches Weltkulturerbe, und ja – man muss es so konstatieren – Erfinder des schon oben erwähnten Latin Rock, der mit Alben wie „Santana“, „Abraxas“, bis hin zu „Supernatural“ oder „Ultimate Santana“ mit einer Auflage von insgesamt weit mehr als 100 Millionen einer der erfolgreichsten Musiker aller Zeiten ist, im Rahmen seiner „Oneness“-Tour sodann seinen einzigen Stopp in NRW – in der Kölner Lanxess-Arena – ein. Und ohne dass man es eigentlich möchte, fragt man sich: Wie oft kann man eigentlich „Samba pa ti“ spielen, ohne dass es nach Pflichterfüllung klingt?

Zwei Dinge vorausgeschickt: Eine junge Frau, die noch schnell – kurz, bevor die Lichter nach der Band-Einspieler-Nummer „Aurora Borealis“ (Luis „Sabu“ Martinez) in der Halle ausgehen – zu ihrer Nachbarin „Ich liebe ja Live-Konzerte!“ zuschreit, wird nach der etwa 100-minütigen Show des mittlerweile 78-jährigen mexikanischen Saiten-Titans ihre Gefühlsäußerung bestätigt sehen. Ganz bestimmt. Und: Hätte die noble Tugend der Bescheidenheit heute Abend einen Satz frei, würde sie wohl so etwas sagen wie „Schön, dass es dich gibt, Carlos“. Aber von vorn. Wie gesagt, das Licht geht aus, Santanas Kombo betritt die Bühne und legt sodann mit „Soul Sacrifrice“ los. Ein woodstocksches Gewitter aus Congas, Timbales und psychedelischen Orgelklängen rauscht durch die Reihen der etwa 12.000 Zuschauer. Schlagzeugerin Cindy Blackman Santana, Ehefrau der Rocklegende, hält zusammen mit Perkussionist Karl Perazzo den „Laden“ zusammen. Und Mister Santana? Der schaut sich dieses Wirbel-Spektakel erst einmal in Ruhe an. Von der Seite. Auf einem Hocker sitzend. Bevor er irgendwann schließlich gemütlich ins Rampenlicht schlendert. Samt Chillout-Hut und Gitarre, versteht sich. Der Hocker, das muss man dazu erwähnen, wird für unseren Hauptprotagonisten heute Nacht ein ständiger Begleiter während des gesamten Konzertes sein: Meist sinkt er halbstehend in ihn hinein. Seine nach Grazie lechzenden Gitarrenmelodien folgen ihm bereitwillig in diese Körpersenke, sodass er sie so Fingerkuppen-wundersam mithilfe der sechs Saiten bis tief hinter die Steigbügelknochen seiner ihm zujubelnden Fans zurückwirft. Das schmerzt überhaupt nicht, im Gegenteil, bei „Evil Ways“ singen vor allem die etwas älteren Semester textsicher „You've got to change your evil ways, baby / Before I stop lovin' you“ mit.

In der Folge lullen beinahe unzählige Perkussions- und Gitarrensoli („Black Magic Woman“, „Gypsy Queen“) die Arena in eine Art lateinamerikanisch-rhythmisches Infernal ein, bei „Oye Como Va“ und vor allem bei „Maria Maria“ jedoch fängt das Publikum zum ersten Mal so richtig an zu „explodieren“: es tanzt sich alle Sörgchen und Sorgen von der Seele, so scheint es. Eine einsame Tänzerin in der ersten Reihe öffnet ihren Pferdeschwanz und lässt Santanas unaufgeregte Aura auf sich wirken. Ein bisschen wie ein Initiationsritus sieht das aus. „Wir sind alle eins“, flüstert er schwach ins Mikrofon, bevor der Gitarrero-Maestro höchstpersönlich die Tonabfolge spielt, auf die alle gewartet haben: „Samba pa ti“. Gänsehaut. „Samba pa ti“. Geht immer.  

Am Ende kocht die Arena, verwandelt sich zu den Beats von „Corazón Espinado“ regelrecht in einen Buena Vista Arena-Club. „Ah-a-ah-ay, corazón espinado / Ah-a-ah-ay, cómo me duele el amor“.  


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