Tate McRae vor 16.000 Fans in Köln: Die neue Diva am Pop-Himmel

WAZ

Köln (kle) Wer dachte, Popmusik sei inzwischen nur noch ein algorithmisches Spotify-Nebenprodukt, wurde am Montagabend zwischen auf Hochglanz gestylten TikTok-Girls und ein paar verlorenen Müttern und Vätern („Ich musste fahren“) in der Kölner Lanxess-Arena eines Besseren belehrt. Oder zumindest stilvoll wachgeschüttelt: Tate Rosner McRae, 21, kanadischer Superstar im Hochglanzformat, hat auch bei der letzten Deutschland-Station ihrer „Miss Possessive“-Tour exakt das geliefert, was man von ihr erwartet: makellose Choreografien, klinisch saubere Vocals und genug melancholischen Tiefgang, um selbst ihre hochhackigen Tanzstiefel kurz ins Grübeln zu bringen. Und so zeigte McRae auf ihrem exklusiven NRW-Konzert in Köln, wie sich emotionaler Tiefgang und makellos inszenierte Popästhetik à la Teenagerkrise (zum Mitschreien und mit Windmaschine, versteht sich!) nicht ausschließen müssen.

Doch von vorne. 20:45. Die Nervosität in der Arena unter den größtenteils weiblichen Fans der Sängerin ist mit Händen zu greifen, kurz bevor sie endlich auf einer kleinen Plattform im Lichte der riesigen Frontal-Leinwand von oben auf die Bühne, die an beiden Enden von zwei gelben Baukränen flankiert ist, gleitet. Als wäre sie die Göttin der Baustelle. In Glitzerbody und schwarzer Feinstrumpfhose räkelt sie sich mit hüftbetonten Bewegungen zu den Klängen von „Miss possessive“ über den Boden. Das alles ist im Gesamten vielleicht ein bisschen drüber. Aber auch erotisch. Irgendwie. Und weil das „irgendwie“ nicht so einfach in der Luft hängen bleiben darf, wird die Botschaft einige Sekunden später unmissverständlich: Denn neben dem Superstar taucht plötzlich ein eng umschlungenes Tanzpaar auf. Er, na klar, in weißem Rip-Shirt, sie in black underwear samt Strapsen. Wer hier noch an zurückhaltenden Dance-Pop denkt, darf sich jetzt gern verabschieden. Willkommen bei Moulin McRae, willkommen im ersten Akt.

Der zweite Akt hebt das Tempo und senkt die Hemmschwelle. In einem neuen Outfit, der BH festgezurrt bis unter die Lichtträger der Halle, liefert McRae eine nahezu perfekte Tanzperformance irgendwo zwischen Lapdance-Stange und Hebebühnen-Spektakel ab. Das Kollektiv-Kreischen der rund 16.000 Zuschauer wird dezent von einem Dauer-Raunen abgelöst, während sich der vordere Steg in eine Art permanent auf- und ab bewegende Wellen-Bühne verwandelt. Die Tänzer:innen purzeln und schweben in kontrollierter Perfektion und inniger Schönheit zu den druckvollen Hip-Hop-Beats von „Dear god“ in- und um sich herum. Und McRae mittendrin.

Spätestens als sich der aus Calgary stammende Internetstar (3,8 Milliarden Streams für ihr zweites Album „Think Later“!) auf der Second-Stage (Hebebühne!) im hinteren Teil der Arena langsam über die Köpfe des Publikums erhebt und in ein romantisch-kitschiges Lichtermeer eintaucht, wird klar: Diese Show ist nicht nur zum Tanzen da: Hier darf auch mal gefühlt werden. „This moment is so special“, haucht sie ins Mikro, und zum ersten Mal an diesem Abend tritt ihr Stimmvolumen fast mit der Choreografie ihrer Tänzer:innen in Konkurrenz. Haupterkenntnis in Akt drei: McRae kann singen. Und wie. Mit einem Medley älterer Songs erinnert sie – halb selbstironisch, halb ehrfürchtig – daran, dass sie trotz Mega-Hype gerade mal 21 ist. Ganz in Weiß, in einem engelsgleichen „Lodder-Look“, singt sie zusammen mit ihren Fans „Should run for the hills, should run for the hills“.

 

In Akt vier schließlich zieht McRae dann alle Register: Glitzerndes lila Korsett, Selfie-Marathon zusammen mit ihren Tänzer:innen und Fans, bei „Revolving door“ gibt’s hin- und herschiebbare Türrahmen, durch die sich der tanzende und singende Erotikstar schlängelt.  Und dann, ja dann sitzt McRae einfach nur so da auf dem Bühnenboden und nimmt sich einen Moment der Ruhe; lässt sie auf sich wirken, die nicht enden wollende Euphorie der Fans. Fazit: Madonna und Britney Spears können sich getrost zurücklehnen – die neue Diva am Pop-Himmel heißt Tate McRae. Mit jeder Menge Sexappeal, Pathos und – natürlich – einer Windmaschine.


Erschienen in der WAZ

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